Wutras
Zorn - Rache - Krieg
Er atmete schwer. Blutverschmiert war sein Gesicht, die Wunden an seinem schmalen Körper schmerzten und brannten, doch sein ausgemergelter Leib wurde durch eiserne, an der Kerkerwand angebrachte, Ketten an seinen Händen zu einer aufrechten Haltung gezwungen. Der einst heroisch und stark wirkende Elf war nicht mehr zu erkennen. Das, was einst edel und nobel war, ist nun verblichen und einer wahrlich geschundenen Kreatur gewichen. Da war es wieder... das Klopfen, die Schreie, das bitterliche Wimmern gefolterter Kreaturen, die einst Elfen waren. Es waren allesamt seine Freunde gewesen: Brüder im Kampfe, Genossen bei der Arbeit, gar Frauen waren unter ihnen.
Sein ohnehin schon bleiches Gesicht wurde, wie jedes Mal, aschfahl, als er ihn sah. Ein großer, muskulöser Körper, schwer gepanzert wie ein mächtiger Krieger mit einer einschüchternden Kriegsaxt auf seinem Rücken, stolzierte prunkvoll den Gang zwischen den Kerkerzellen entlang und blickte amüsiert zwischen den Zelleninsassen hin und her. Ein jeder richtete seine Gebete, insofern er noch zu klarem Denken fähig war, an die Götter, mit der Bitte, diesen Teufelsqualen endlich entfliehen zu dürfen. Doch dieses Mal wurde er ausgewählt...
Seine Zellentür sprang auf und mit schweren Schritten stapfte der gepanzerte Krieger, dessen komplettes Haupt mit einem Helm, an dem seitlich jeweils zwei spitz zulaufende Hörner angebracht waren, gemächlich auf ihn zu. Er schrie erschrocken auf, als ihn die mit mächtigen Panzerhandschuhen bedeckten Pranken des Kriegers an den Oberarmen packten und mit einer so gewaltigen Wucht nach vorne zogen, dass die ihn gehaltenen Ketten zerbarsten. Paralysiert vor Angst bibberte er nur noch und richtete sein letztes Gebet an Merrldyn. Die einzige Antwort, die er bekam, war ein dunkles, höhnisches Lachen seines Peinigers.
Erbarmungslos wurde er in eine abseits des vorherigen Zellentraktes gelegenen Kammer mit einem gläsernen Sichtfenster geschleift und mit purer Gewalt an die Glasscheibe gedrückt. Die Schmerzen waren unerträglich, doch das, was er schließlich hinter der Scheibe sah, brachte sein ermattetes Blut zum Kochen. Auf einem offenen, mit Erde und Blut verschmiertem Platz, befanden sich zwei Zwerge...
Was haben diese ehrenlosen und brutalen Wesen der Dunkelheit hier verloren? Sie bringen die Natur durch ihre alleinige Existenz ins Ungleichgewicht. Ihre gesamte Art ist nur durch einen Fehler entstanden. Obgleich er sich durchaus in einer sehr misslichen Lage befand, konnte er nicht mehr als puren Hass und Abscheu für diese dunklen Wesen empfinden, und sein ans Glas gedrücktes Gesicht verformte sich zu einer erbosten Grimasse.
Die Zwerge trugen ähnliche Rüstungen wie sein Peiniger hinter ihm und waren ebenso mit Äxten bewaffnet, wenn auch mit jeweils sehr viel kleineren. Auf dem Boden lagen Elfen; ihre Körper waren ebenso angegriffen wie der seine, doch sie versuchten verzweifelt aufzustehen und den Axthieben der beiden Zwerge zu entgehen. Einigen gelang es, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die noch etwas lebendigeren Körper den Axtblättern zum Opfer fallen würden. Tränen flossen aus seinen Augen, ein Wimmern bildete sich auf seinen Lippen und er wollte die Augen schließen. Unmittelbar daraufhin durchfuhr ein sengender Schmerz seinen gesamten Körper, der ihn seine Augen erneut weit aufreißen ließ. Es roch nach verbranntem Fleisch, als die Gestalt hinter ihm die rotglühende Klinge eines Dolches an seinen Körper hielt. So vergingen Stunden um Stunden, bis auch der letzte Elf auf dem Platz dahingeschieden war und die Zwerge über einen ihm unsichtbaren Ausgang aus seinem Blickfeld verschwanden. Seine Gedanken rasten, wurden von wildem Schmerz durcheinandergewirbelt und noch viele Tage lang würde sich das eben gesehene Tag und Nacht, wenn sich dies in diesen Kerkern überhaupt unterscheiden ließ, vor seinen Augen erneut abspielen. Er bekam nichts von dem Rückweg in seine Zelle mit. Wahrscheinlich wurde er wieder über den Boden geschliffen und neue Ketten wurden geschmiedet, in denen er, einer gepeinigten Puppe gleich, an die Wand gehangen wurde. Die erlittene Qual würde lange vorhalten, von Minuten über Stunden bis hin zu Tagen und Monaten – denn dann würde auch der letzte Funke seines vorherigen Verstandes entschwunden sein und Platz für neues geschaffen haben. Ein Ork wurde geboren...
Der in eiserne Platte gehüllte Krieger war Wutras, der Herr des Krieges. Er ruft Wut und Zorn in den Kreaturen hervor und bringt sie gegeneinander auf. Er versteht es, den Lebewesen die Neigung zur Gewalt beizubringen, oder ihnen die Hemmung zur Anwendung von Gewalt zu nehmen. Als Gott der Rache sorgt er für einen immer währenden Kreislauf der Zerstörung in der Welt. Wer kum des Kämpfens Willen kämpft, wen es stets nach Blut dürstet, wer Dinge vernichtet und keinen Kampf scheut, der wählt Wutras zu seinem Gott.